B. Home. 1/8ª ↔ § 2/7ª
Völkerrecht, ius gentium, hieß in seiner antiken und weitesten Bedeuntung, wie sie die Römische Rechtswissenschaft aufgestellt hat (1), die gemeinsame Völkersitte, welche nicht allein unter den Nationen im gegenseitigen Verkehr als Regel beobachtet ward, sondern auch die inneren gesellschaftlichen Züstande in den Einzelstaaten in den Einzelstaaten gleichmäßig durchdrang und regelte, so weit sie nicht daselbst ihre eigenthümliche Begründung oder Gestaltung empfangen hatten. Es enthielt demnach theils ein äußeres Staatenrecht, theils ein allgemeines Menschenrecht. In der neuen Welt ist ihm nur die erstere Bedeutung eines äußeren Staatenrechtes, ius inter gentes (2), droit international verblieben. Der andere Bestandtheil des antiken Völkerrechtes, gleichsam das gemeinsame Privat aller Menschen von gliecher Sitte, hat sich dagegen in dem inneren Rechtssystem der Einzelnstaaten; dem heutigen Völkerrecht gehört er nur noch in so fern an, als gewisse Menschenrechte und Privatverhältnisse zugleich auch unter die Tutel oder Gewähleistung verschidener Nationen gegenseitig gestellt sind.
Giebt es nun ein äußeres Staatenrecht überhaupt und überall? In der Wirklicheit gewiß nicht für alle Staaten der Völker des Erdballes. Immer hat es nur in gewissen Kreisen derselben eine Entwicklung und Geltung erlang (3); auf die umfassendte Weise ist es in dem christlichen Europa und in den von hier aus gegründeten Staaten in das allgemeine Bewußtsein getreten, so daß man ihm den Namen eines Europäischen gegeben hat und mit Recht noch immer geben darf (4). Die Staaten selbst mit ihren Vertreten und mit den unter ihrem Schutze stehenden sind darin die Personen oder Rechtsubiecte.
Note
(1) Ueber diesen Begriff s. m. Isidor Orig, V, 4. V, 4. v. Savigny Sistem I, S. 109, 413.
(2) Die Ausdruck ist zuerst von Zouch im Jus feciale v. 1650 als der richtigere anerkannt. D’Aguesseau nannte es droit entre les gens; seit Bentham ist die Benennung droit international, international law gebräuchlich worden. Wheaton, histoire du droit des gens. p. 45. 46. (2. éd. p. 142) [G. Am richtigsten wäre zu sagen “interstate law”, da nicht die Nationen als solche, sondern nur als als staatliche Organisationen Subjekte des B. R’s. sind, doch wäre die Uebertragung in andere Sprachen nicht leicht, während der bloße Ausdruck “Staatenrecht”, wie Holzendorf (Handb. des B. R’s I. S. 9) bemerkt, der Rißdeutung unterliegen würde.]
(3) Ein anderes Völkerrecht befolgen wilde Völkerschaftten, wie anderes die Moslim u.f.w. Richtig bemerkt v. Leibnitz Cod. iur. gent. proem., Montesquieu, Espr. d. Lois. I. chap. 3. Ward, Inqu. into the Law of Nation, I, 156. Ueber das V. R. der Chinesen, Hindu und Perser H. Ph. E. Haelschner, de iure gent. ap. gentes Orientis. Hal. 1842. Ueber V. R. der Wilden und Halbwilden: Iallati, in d. Tüb. Zeitschr. f. Rechtsw. 1840. Ueber das der h. Pforte s. § 7.
(4) [G. H. geht in dieser Beschränkung gewiß zu weit. Die heutigen Staaten Amerika’s sind von den Europäischen als Kolonien, nicht als Staaten gegründet, dazu haben sie sich selbst erhoben. Die Vereinigten Staaten haben während ihres hundertjärigen Bestehens in der Praxis wie in der Wissenschaft eine weit größere Bedeutung für das Völkerrecht gewonnen als manche alte Europäische Staaten. Andrerseits ist nicht zuzugeben, daß, wie Bluntschli (7) sagt, das Gebiet der Herrschaft des V. R’s. die ganze Erdoberfläche sei, so weit sich auf ihr Menschen berühren. Auf wilde oder halbcivilisierte Vøolkerschaften, welche selbst die Grundsätze unseres V. R’s. nicht respektieren, können wir dieselben nicht einfach anwenden. Das V.R. beruht auf Gegenseitigkeit, und diese wird von rohen und fanatischen Völkern nicht beobachtet, sie bieten nicht die Gewähr fester staatlicher Ordnung, wenn es auch wohl nur wenige Völker gegeben hat und giebt, bei denen nicht Anfänge des V.R’s. bestehen. Man muß also nicht sowohl von einem Europäischen Völkerrecht als dem aller civilisierten Staaten sprechen, das die Gesammtheit der Rechte und Pflichten derselben in ihren Beziehungen unter sich umfaßt. Aehnlich sagt v. Holzendorff (l. c. I § 1): “Die völkerrrechtliche sind diejenigen Normen zu bezeichnen, im Gemäßheit welcher die Rechtspflichten und Rechtsansprüche Verkehr wirklicht werden.” Und Hall (Internat. Law p. 1): “International law consists in certain rules of conduct which modern civilized states regard as binding on them in their relations with one another with a force comparable in nature and degree to that binding the conscientious person to obey the laws of means in case of infringment.” An dieser über Europa hinausgreifenden Geltung des W.R’s. ändert es auch nichts, wenn Verträge wie z. B.. der Pariser von 1856 vom “droit public de l’Europe” reden, weil die einschlagenden Fragen nur Europäische Verhälnisse betreffen, andre wie der Weltpostverein, die Kongo-Akte von 1885 umfassen ebenso bestimmt auch andre Welttheile.
7ª ed. 1882, Müller. |
§ 1.
Bedeutung und Existenz eines Völkerrecht.
Völkerrecht, ius gentium, hieß in seiner antiken und weitesten Bedeuntung, wie sie die Römische Rechtswissenschaft aufgestellt hat (1), die gemeinsame Völkersitte, welche nicht allein unter den Nationen im gegenseitigen Verkehr als Regel beobachtet ward, sondern auch die inneren gesellschaftlichen Züstande in den Einzelstaaten in den Einzelstaaten gleichmäßig durchdrang und regelte, so weit sie nicht daselbst ihre eigenthümliche Begründung oder Gestaltung empfangen hatten. Es enthielt demnach theils ein äußeres Staatenrecht, theils ein allgemeines Menschenrecht. In der neuen Welt ist ihm nur die erstere Bedeutung eines äußeren Staatenrechtes, ius inter gentes (2), droit international verblieben. Der andere Bestandtheil des antiken Völkerrechtes, gleichsam das gemeinsame Privat aller Menschen von gliecher Sitte, hat sich dagegen in dem inneren Rechtssystem der Einzelnstaaten; dem heutigen Völkerrecht gehört er nur noch in so fern an, als gewisse Menschenrechte und Privatverhältnisse zugleich auch unter die Tutel oder Gewähleistung verschidener Nationen gegenseitig gestellt sind.
Giebt es nun ein äußeres Staatenrecht überhaupt und überall? In der Wirklicheit gewiß nicht für alle Staaten der Völker des Erdballes. Immer hat es nur in gewissen Kreisen derselben eine Entwicklung und Geltung erlang (3); auf die umfassendte Weise ist es in dem christlichen Europa und in den von hier aus gegründeten Staaten in das allgemeine Bewußtsein getreten, so daß man ihm den Namen eines Europäischen gegeben hat und mit Recht noch immer geben darf (4). Die Staaten selbst mit ihren Vertreten und mit den unter ihrem Schutze stehenden sind darin die Personen oder Rechtsubiecte.
Note
(1) Ueber diesen Begriff s. m. Isidor Orig, V, 4. V, 4. v. Savigny Sistem I, S. 109, 413.
(2) Die Ausdruck ist zuerst von Zouch im Jus feciale v. 1650 als der richtigere anerkannt. D’Aguesseau nannte es droit entre les gens; seit Bentham ist die Benennung droit international, international law gebräuchlich worden. Wheaton, histoire du droit des gens. p. 45. 46. (2. éd. p. 142) [G. Am richtigsten wäre zu sagen “interstate law”, da nicht die Nationen als solche, sondern nur als als staatliche Organisationen Subjekte des B. R’s. sind, doch wäre die Uebertragung in andere Sprachen nicht leicht, während der bloße Ausdruck “Staatenrecht”, wie Holzendorf (Handb. des B. R’s I. S. 9) bemerkt, der Rißdeutung unterliegen würde.]
(3) Ein anderes Völkerrecht befolgen wilde Völkerschaftten, wie anderes die Moslim u.f.w. Richtig bemerkt v. Leibnitz Cod. iur. gent. proem., Montesquieu, Espr. d. Lois. I. chap. 3. Ward, Inqu. into the Law of Nation, I, 156. Ueber das V. R. der Chinesen, Hindu und Perser H. Ph. E. Haelschner, de iure gent. ap. gentes Orientis. Hal. 1842. Ueber V. R. der Wilden und Halbwilden: Iallati, in d. Tüb. Zeitschr. f. Rechtsw. 1840. Ueber das der h. Pforte s. § 7.
(4) [G. H. geht in dieser Beschränkung gewiß zu weit. Die heutigen Staaten Amerika’s sind von den Europäischen als Kolonien, nicht als Staaten gegründet, dazu haben sie sich selbst erhoben. Die Vereinigten Staaten haben während ihres hundertjärigen Bestehens in der Praxis wie in der Wissenschaft eine weit größere Bedeutung für das Völkerrecht gewonnen als manche alte Europäische Staaten. Andrerseits ist nicht zuzugeben, daß, wie Bluntschli (7) sagt, das Gebiet der Herrschaft des V. R’s. die ganze Erdoberfläche sei, so weit sich auf ihr Menschen berühren. Auf wilde oder halbcivilisierte Vøolkerschaften, welche selbst die Grundsätze unseres V. R’s. nicht respektieren, können wir dieselben nicht einfach anwenden. Das V.R. beruht auf Gegenseitigkeit, und diese wird von rohen und fanatischen Völkern nicht beobachtet, sie bieten nicht die Gewähr fester staatlicher Ordnung, wenn es auch wohl nur wenige Völker gegeben hat und giebt, bei denen nicht Anfänge des V.R’s. bestehen. Man muß also nicht sowohl von einem Europäischen Völkerrecht als dem aller civilisierten Staaten sprechen, das die Gesammtheit der Rechte und Pflichten derselben in ihren Beziehungen unter sich umfaßt. Aehnlich sagt v. Holzendorff (l. c. I § 1): “Die völkerrrechtliche sind diejenigen Normen zu bezeichnen, im Gemäßheit welcher die Rechtspflichten und Rechtsansprüche Verkehr wirklicht werden.” Und Hall (Internat. Law p. 1): “International law consists in certain rules of conduct which modern civilized states regard as binding on them in their relations with one another with a force comparable in nature and degree to that binding the conscientious person to obey the laws of means in case of infringment.” An dieser über Europa hinausgreifenden Geltung des W.R’s. ändert es auch nichts, wenn Verträge wie z. B.. der Pariser von 1856 vom “droit public de l’Europe” reden, weil die einschlagenden Fragen nur Europäische Verhälnisse betreffen, andre wie der Weltpostverein, die Kongo-Akte von 1885 umfassen ebenso bestimmt auch andre Welttheile.