sabato 14 aprile 2018

§ 01. H.B. Rumpelt: Deutsche Grammatik: Vorwort..

B. HS. Inhalt. → § 02.
Testo online.
 Vorwort.

Wir geben in diesen Blättern lediglich eine Darstellung der hochdeutschen Sprache. Alles, was dieselben aufserhalb der Sphäre der letzteren enthalten, ist nur Mittel, nicht Zweck. Es darfte jedoch für den Begriff hochdeutsch eine schärfere Begrenzung nicht überflüssig sein, und dazu bedarf es eines kurzen Ueberblicks der wichtigsten hier einschlagenden Verhältnisse.

Das ganze Gebiet der germanischen Sprachfamilie gliedert sich nach seinen Hauptzügen in folgender Weise:

I. Die gothische Sprache. Aelteste Form, in welcher uns germanische Sprache überhaupt begegnet, daher fast immer für die grammatischen Vorgänge derselben die tiefste Regel bietend; gleichwohl nicht als eigentliche Muttersprache der übrigen germanischen Idiome zu betrachten, und in einzelnen Fällen sogar von diesen an Alterthümlichkeit übertroffen.

II. Die nordische Sprache. Ihre älteste uns bekannte Gestalt, das Altnordische, geht im 13 — 14. Jahrh. mit rascher Wendung, ohne ein scharf ausgeprägtes Mittelnordisch zu bilden, in das Neunordische über, welches letztere jedoch, gleichsam zum Ersatz dafür, in zwei Aeste: Schwedisch und Dänisch, sich spaltet

m. Die niederdeutschen Sprachen. Ursprünglich wohl nur
Eine; aber schon in den ältesten Denkmälern unter dreifacher Glie-
derung auftretend.

1) Das Angelsächsische. Sprache der nach den britischen In-
seln ausgewanderten niederdeutschen Stämme ; erleidet im 11. Jahrh.
durch die Eroberung der längst zu Franzosen gewordenen Norman-
nen eine tiefgreifende Störung, bis endlich beide einander so ent-



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gegengesetzten Idiome: das germanische and romanische, zu einer
höheren Einheit: dem späteren Englisch, verschmelzen.

2) Das Niederländische. Mit diesem Namen erlauben wir uns
hier diejenigen Mundarten zu bezeichnen, welche auf den nordwest-
lichen Niederungen des deutschen Festlandes einheimisch waren und
wovon die altfriesischen Denkmäler die älteste Gestalt bieten.
Aus den südlichem Mundarten erwuchs später, in Folge einer im-
mer tiefer gehenden politischen Trennung vom Mutterlande, das
Mittelniederländische und aus diesem das heutige Neunie-
derländische (Holländisch und Vlämisch).

3) Das Plattdeutsche. Unter diesem Namen begreifen wir die
Mundarten des nordlichen Deutschlands, so weit dieses letztere auch
politisch vereinigt blieb; obschon die Sprachgrenze gegen das Nie-
derländische hier in der That, namentlich für die ältere Zeit, kaum
angebbar ist Aelteste Gestalt desselben bietet die altsächsische
Evangelienharmonie („Heliand"). Eine mittlere Periode (Mit-
telplattdeutsch, bei Grimm Mittelniederdeutsch) ist zwar
vorhanden, aber literarisch wenig vertreten. Dies gilt in noch hö-
herem Grade von dem Neuplattdeutsch, d. h. der noch jetzt im
nördlichen Deutschland beim Landvolk üblichen Sprache, welche
völlig auf den Standpunkt des Dialekts getreten ist und selbst
als solcher in immer engere Grenzen zurückweicht Diese trotz
aller künstlichen Belebungsversuche nicht aufzuhaltende Erscheinung
darf vom provinziellen und selbst vom ethnographischen
Standpunkt aus beklagt werden, vom nationalen ist sie ein
Segen für unser ohnehin so -vielfach gespaltenes Vaterland.

IV. Die oberdeutsche Sprache. Sie gilt vorzugsweise im süd-
lichen Deutschland, und selbst die mittleren Gegenden, welche den
Uebergang zwischen ihr und der niederdeutschen bilden, schliefsen
sich mehr an sie als an diese letztere. Die oberdeutschen Denk-
mäler vom 7 — 11. Jahrh., meist von Geistlichen verfafst, werden
indefs in Bezug auf ihre Sprache nicht mit jenem Namen, sondern
in der Regel mit „althochdeutsch" bezeichnet Diese Sprache
ist auch keineswegs eine scharf begrenzte, sondern sie enthält eine
Menge oberdeutscher Mundarten, welche im Allgemeinen zwar unter
die vier Hauptgruppen: Alemannisch, Schwäbisch, Bairisch, Fränkisch,
sich vertheilen lassen, aber auch innerhalb dieser letzteren noch sehr
wesentliche Unterschiede bieten. In den Denkmälern des 12. bis
zur Mitte des 13., höchstens bis zum Anfang des 14. Jahrh. ver-
einfachen sich diese Unterschiede bedeutend, und zwar zu Gunsten



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des Schwäbischen, welche Mundart, offenbar durch den Glanz
des regierenden Kaiserhauses, weit über die Grenzen des eigent-
lichen Schwabens hinaus die Sprache des höfischen Adels und be-
sonders die seiner Poesie ( Minnegesang , Ritterepos) wird und als
solche jetzt unter dem Namen „Mittelhochdeutsch " bekannt ist
Vom 14. Jahrh. an zerfliefst dieselbe zusehends und bald existiren
eben nur noch wieder oberdeutsche Dialekte; jeder Schriftsteller
bedient sich der Mundart seiner speciellen Heimat (14 — 16. Jahrh.
Verfall der Literatur).

Was nun diejenige Sprache betrifft, welche seit J. Grimm als
, Neuhoch deutsch" bezeichnet wird, so entwickelt sich dieselbe
in Mitteldeutschland, namentlich Obersachsen („Meissenscher Dia-
lekt"); steht also, von diesem rein mundartlichen Standpunkte be-
trachtet, zwischen Oberdeutsch und Niederdeutsch, # wenn gleich die
oberdeutsche Färbung überwiegt (vgl. oben). Dadurch aber, dafs
in ihr die Literatur der Reformationszeit, vor Allem Luther's Bibel-
übersetzung und das protestantische Kirchenlied, auftritt, so wie dafs
auch noch spater diese mittleren Provinzen die Hauptvertreter des
deutschen Geisteslebens bleiben, gewöhnt man sich zunächst daran,
dieses Idiom als deutsche Schriftsprache anzusehen und es
verschwinden allmälig neben ihm die einzelnen Mundarten aus der
Literatur völlig, wenn auch nicht ohne ihrerseits die Schriftsprache
zu beeinflussen, so dafs diese letztere bald nirgends mehr, auch in
Obersachsen nicht, eigentlich gesprochen wird; dafür aber nun
mit keiner deutschen Mundart mehr zusammenfallend, nur desto
entschiedener ihren Charakter als ideale deutsche Schriftsprache
festhält und weiter ausbildet; d. h. immer mehr von der mündlichen
Rede sich entfernt, welche letztere nach wie vor den Strömungen
der einzelnen Dialekte folgt (16 — 18. Jahrh.).

Durch den gewaltigen Aufschwung der Literatur aber in der
zweiten Hälfte des 18. Jahrh., und durch die Herrschaft, welche
dieselbe über das gesammte deutsche Geistesleben ausübte, so
dafs während eines vollen Jahrhunderts fast alle anderen Inter-
essen neben dem literarischen zurücktraten, gewann nun diese
Schriftsprache auch mehr und mehr Geltung als Umgangsspra-
che, sie wurde wesentlich die Sprache der Gebildeten, und trat
als solche in Gegensatz zu der Volkssprache, welche noch im-
mer in den Grenzen des speciellen Dialekts verharrte. Die neueste
Zeit endlich mit ihrem grofsartigen Verkehr hat jene Umgangssprache
in immer weitere Kreise verpflanzt, so dafs sie, leisere Schwankun-



Till

gen abgerechnet, gegenwärtig als allgemeine Sprache der Gebildeten
in Deutschland gelten darf.

Aus dieser Entwicklung geht hervor, dafs jenen beiden ersten
Beziehungen: Alt- und Mittelhochdeutsch, die sich ihnen an-
schliefsende dritte: das Neuhochdeutsch, keineswegs parallel geht
Im erstem Falle druckte das Wort Hochdeutsch eine land-
schaftliche Beziehung aus, es stand für das was wir heute Ober-
deutsch nennen; im zweiten Falle hat es eine culturhistori-
s che Beziehung, es bedeutet die edlere, höhere Sprache im Ge-
gensatz zu der gemeineren. Dieser Wechsel der Beziehungen
ist keineswegs erst in unserer Zeit vor sich gegangen, sondern hat
sich langsam in der Volkssprache selbst entwickelt (vgl. W. Wacker-
nagel, Gesch. d. D. L. p. 373); nur die Zusammensetzung mit der
Zeitbestimmung ist erst von J. Grimm eingeführt worden, der auch
hiebei mit schonender Liebe das, was einmal Wurzel gefafst, zu
erhalten suchte.

' Wo indefs eine solche Schonung die Klarheit der Verhältnisse
beeinträchtigen könnte, da wäre sie freilich zu beschränken, und in
diesem Falle steigt wohl die Frage auf, ob es nicht gerathen sei,
hier der Bezeichnung ein einheitliches Prinzip zu Grunde zu
legen, also z. B. entweder:

a) indem man die Namen Alt- und Mittelhochdeutsch zwar
bestehen liefse, aber den hinzugehörigen dritten : Neuhochdeutsch, in
dieselbe Sphäre verwiese wie sie, also darunter die jetzt lebenden
oberdeutschen Dialekte zusammenfafste; dagegen für die allgemeine
Schrift- und Umgangssprache eine andere Bezeichnung wählte, etwa
Neudeutsch, Schriftdeutsch, etc.;
oder:

6) indem man statt Alt- und Mittelhochdeutsch lieber Alt-
und Mitteloberdeutsch setzte, das Wort Hochdeutsch aber für
die mit dem 16. Jahrh. beginnende Buchersprache anwendete, wobei
dann kein weiterer Zusatz nöthig wäre;
oder:

c) dasselbe Verfahren, aber dadurch vervollständigt, dafs man
zwischen dem Ober- und Niederdeutschen noch eine dritte Entwicke-
lungsreihe: das Mitteldeutsche*), einschöbe; das Hochdeutsche



*) Sein Gebiet würde etwa vom Trier'schen und Mainzischen aus durch
Hessen nach Thüringen sich erstrecken. — J. Grimm begehrt indefs für diese
räumliche Beziehung einen andern Namen und möchte das Wort Mitteldeutsch



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dann zunächst als ursprungliches Neumitteldeutsch darstellte,
und von hier an dessen selbstfindige Entwickelung betrachtete.

Alle diese Wege sind, mit mehr oder weniger Consequenz, be-
reits in Vorschlag gekommen; keiner aber hat sich bisher Geltung
erwerben können. Der dritte dürfte allerdings dem wahren Sach-
verhalt am nächsten kommen; er setzt aber eine ideale Hohe der
Sprachforschung, insbesondere eine Kenntnifs und Sonderung der.
Dialekte voraus, wie sie für die ältere Zeit (bis zum 16. Jahrh.)
aus den vorhandenen Denkmälern kaum zu gewinnen sein dürfte. —
Somit halten wir immer noch an den von J. Grimm eingeführten
Namen: Alt-, Mittel-, Neuhochdeutsch fest und glauben so-
gar den Vorwurf der Inconsequenz von denselben ablehnen zu dür-
fen. Jener Wechsel der Beziehung ist nämlich für den heutigen
Sprachgebrauch gar nicht mehr vorhanden, sondern es liegt für uns
Neuere dem Worte Hochdeutsch in allen drei Fällen ein und der-
selbe Begriff zu Grunde.

Dieser Begriff ist aber kein anderer als: „Die Sprache der
deutschen Literatur a . — Die Denkmäler dieser letzteren treten,
in drei verschiedenen Perioden mit scharf ausgeprägter Eigentüm-
lichkeit der Sprache auf; vom 7 — 11., vom 11 — 13., vom 16 — 19.
Jahrhundert; diese Sprache heifse cremnach immerhin Hoch-
deutsch, d. i. die höhere Sprache , dfe Trägerin des deutschen
Geistes im Strome der Zeit, gegenüber den verhallenden Klängen
der mündlichen Rede; wobei es gleichgültig bleibt, dafs früher das-
selbe Wort eine räumliche Beziehung ausgedrückt hat. Im 14.
und 15. Jahrh. gab es kein Hochdeutsch in unserem Sinne mehr,
sondern nur Dialekte, weil eben die Literatur selbst im Erlo-
schen war.

Die Grenzen zwischen Hochdeutsch einerseits, den ober- und
niederdeutschen Mundarten andrerseits werden freilich nicht in allen
Fällen praktisch angebbar sein. Die hochdeutsche Sprache erwuchs
langsam mit der ihr zu Grunde liegenden Literatur und bedurfte
Jahrhunderte, um sich aus den Verschlingungen der sie üppig
umblühenden Volkssprache empörzuarbeiten. Dies ist ihr in der
ersten Periode nur in äufserst geringem Mafse gelungen; das Alt-
hochdeutsche ist wesentlich noch Altoberdeutsch, d. h. eine Fülle



lieber in zeitlicher Weise, nämlich für die Sprache des 13 — 15. Jahrh. ange-
wendet wissen. Vgl. von Dems. „Ueber den sogenannten mitteldeutschen Voka-
liamu8 M in der Hauptsachen Zeitschrift, VIII, 544.



oberdeutscher Mundarten, die Anfangs noch anverbanden neben ein-
ander liegen, also völlig als Provinzialdialekte auftreten, später be-
reits auf einander einwirken und damit den ersten Schritt auf der
Bahn des eigentlichen Hochdeutschen than. — Einen schon an-
sehnlichen Umblick gewährt das Mittelhochdeutsche; von ihm kann
man bereits nicht mehr sagen, dafs es gleich Mitteloberdeutsch, oder,
was dasselbe, eine Zusammenstellung der oberdeutschen Mundarten
des 12. und 13. Jahrh. sei. Zunächst nämlich ist die räumliche
Sphäre, auf der es erwuchs, eingeschränkter als in der vorigen
Periode; es ist wesentlich schwäbisch, aber keineswegs mehr in
dem Sinne, wie die ahd. Denkmäler alemannisch etc., genannt wer-
den müssen; der Abstand zwischen dem schwäbischen Volksdialekt
und dem Schwäbisch der mhd. Poesie mufs bereits sehr fühlbar ge-
wesen sein, sonst wurde diese Poesie nicht einen so weiten Kreis
(ganz Ober- und Mitteldeutschland) haben umspannen können; hier
ist der Name Hochdeutsch schon wohlverdient Diese Spraehe er-
lischt zugleich mit dem schwäbischen Eaiserhause und dem Glänze
der höfischen Poesie; was zurückbleibt, sind eben wieder nur Dia-
lekte; selbst bedeutendere Schriftsteller können sich keiner andern
Sprache bedienen als der von ihrer Provinz gebotenen, und für das
gerade damals mit Vorliebe gepflegte Feld der Satire durfte dies
sogar als Vortheil gelten (Fischart). Noch Geiler von Kaisersberg,
Sebastian Brandt, Hans Sachs und deren Zeitgenossen schreiben
nicht hochdeutsch, sondern elsässisch, fränkisch etc. Das Neuhoch-
deutsche selbst verliefs nur zögernd den Standpunkt des Dialekts, es
mufste lange Zeit sowohl den Schweizern wie den Niedersachsen über-
setzt werden, und noch heute verstehen die nördlichsten und süd-
lichsten Landstriche dasselbe blofs mit dem Auge, nicht mit dem
Ohr. Seine allmälige Ausbildung als deutsche Schriftsprache seit
dem 16. Jahrh. durch die fortwährend einmündenden Dialekte, so
wie andererseits sein Eindringen in diese zu verfolgen, ist eine der
schönsten, aber auch schwierigsten Aufgaben deutscher Sprachfor-
schung, welche indefs weniger der Grammatik als dem Wörterbuche
anheimfällt und die denn auch in 'dem von den Gebrüdern Grimm
unternommenen bereits die würdigste Vertretung gefunden hat. Wohl
aber wird die Grammatik sich der Grenzen beider Gebiete be-
wufst bleiben müssen, und auch da, wo sie zur Erklärung einer
hochdeutschen Thatsache der Herbeiziehung des Dialekts bedarf,
aufs sorgfältigste zu unterscheiden haben, wo dieser Einflufs anfängt
und aufhört, damit nicht Folgerungen, welche nur vom Standpunkt



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des Dialekts aas richtig sind, fälschlich der allgemeinen Sphäre des
Hochdeutschen heigemessen werden ; eine Gefahr, die für die altere
Periode in mehr als Einem Falle gar nahe liegt, nnd der völlig
su entgehen kaum möglich sein wird.



Dafs eine Grammatik der hochdeutschen Sprache nur auf histo-
rischem Wege möglich ist, versteht sich nach der gegebenen Eint
wickelang von selbst; es fragt sich nur, wie weit dabei auszugrei
fen sei. Hierauf läfst sich eine allgemeine Antwort nicht geben;
es kommt auf den Zweck des Buches an. Wir haben bei dem
unsrigen vor Allem an denjenigen Leserkreis gedacht, welcher uns
der nächste war: an Studirende. Hiernach wird einerseits der
freie s te Standpunkt im Prinzip, andererseits innerhalb dessel-
ben die möglichste Beschränkung im Detail geboten. Der Aus-
gangspunkt vom Gothischen verstand sich von selbst, das Gebäude
hätte ohne diese Grundlage in der Luft geschwebt; andere germa-
nische Sprachen sind nur ausnahmsweise herbeigezogen; Dialekte
kommen nur für die Fälle in Betracht, wo ihr Einflufs auf die
hochdeutsche Umgangssprache schon jetzt ganz bestimmt nachweis-
bar ist.

Dagegen schien uns eine Herbeiziehung der urverwandten
Sprachen, wenigstens der beiden klassischen und des Sanskrit, für
unsern Zweck dringend geboten. Die Unentbehrlichkeit der Sans-
krita für jedes gründlichere Sprachstudium braucht heut zu Tage
wohl nicht mehr gepredigt zu werden; einer Ueberschätzung dersel-
ben, als ob sie schlechthin die Ursprache unsers Stammes wäre
und in allen Fällen die tiefste Regel bieten müfste, glauben wir
ans nicht schuldig gemacht zu haben. Aber, wenn wir einerseits
uns gar wohl bewufst sind, wie unsäglich viel noch auf heimischem
Boden zu lernen und zu finden ist, ehe an einen Abschlufs der spe-
ciellen Forschung zu denken wäre (wofern von einem solchen über-
haupt jemals die Rede sein kann), so durften wir andererseits doch
nicht verkennen, dafs das specielle deutsche Sprachstudium durch
die „vergleichende Grammatik 44 bereits sehr wesentliche Fortschritte
gemacht und Resultate gewonnen hat, welche vom rein germanischen
Standpunkt nimmermehr hätten erlangt werden können. Diese sich
anzueignen, ist denn doch die Pflicht jedes Strebenden, und den
Weg dahin zu erleichtern, schien uns kein nutzloses Unternehmen.



XII

Jenes mit Recht so verpönte Construiren der Sprache nach sub-
jectivem Gatdünken wird am sichersten dadurch verhütet, dafs man
den Blick an verwandten Erscheinungen schärft and aas ihnen das
gemeinsame Gesetz zu ermitteln strebt. Wir haben hauptsächlich
auf Grundlage der oben genannten drei Sprachen und des Deut-
schen eine Zusammenstellung solcher gemeinsamen Verhältnisse zu
geben versucht, verwahren uns aber ausdrücklich davor, als hätten
wir damit ein vollständiges Kategorienschema für alle Sprachen
oder auch nur für sämmtliche Sprachen des indo- europäischen Stam-
mes liefern wollen; vielmehr erklären wir im voraus, dafs wir bei
jener Aufstellung unausgesetzt an unser eigentliches Ziel: die deut-
scheGrammatik, gedacht, und Alles weggelassen haben, was mit
dieser in gar keiner oder allzugeringer Verbindung zu stehen schien ;
auch in der Besprechung der einzelnen Erscheinungen niemals wei-
ter gegangen sind als gerade hinreichte, um ein deutliches Bild der-
selben zu gewinnen.

Was die Darstellung der deutschen Sprachentwickelung selbst
betrifft, so brauchen wir wohl kaum zu erwähnen, dafs dieselbe auf
Grundlage der Forschungen von J. Grimm ruht. .Wie wäre es
anders moglicht Seine „Deutsche Grammatik", jenes preis würdige
Denkmal deutschen Geistes und Gemüthes, ist eben mehr als blofse
Grammatik, sie ist wesentlich auch Sprachschatz und kann als
solcher nie veralten; so dafs alle späteren Forscher immer und im-
mer wieder zu ihr zurückkehren müssen, wenn sie nicht die Arbeit
eines Lebens daran setzen wollen, — unvergleichlich Gethanes auf
zweifelhaften Erfolg hin nochmals zu thun. Dafs hiermit im Ein-
zelnen, wo es nothig erscheint, eine unmittelbare Prüfung der Denk-
mäler nicht ausgeschlossen sein soll, versteht sich von selbst. —
Der eigentlich grammatische Theil jenes Werkes ist, wie bekannt,
in Grimm's späteren Schriften, besonders in seiner „ Geschichte der
deutschen Sprache a , an mehreren Stelleu berichtigt worden, wie es
der veränderte Standpunkt der Sprachforschung erheischte; in sol-
chen Fällen sind wir bemüht gewesen, dem Gange der Auffassung
möglichst zu folgen und haben in wichtigeren Fragen den Verlauf
derselben in Kürze mitgetheilt. Dafs wir die Schriften auch ande-
rer Forscher zu Rathe gezogen, dürfte das Buch am besten selbst
bezeugen, und wo wir eigene Wege einschlugen, da wird man hof-
fentlich eine unparteiische Angabe des Sachverhältnisses und die
Gründe unserer Abweichung nicht vermissen. Vielleicht werden
Einige von der hier vorliegenden Lautlehre urtheilen: sie hebe be-



XIII

sonders den phonetischen Standpunkt hervor. Wir selbst moch-
ten dies, mag es nnn tadelnd oder lobend gemeint sein, kaum gel-
ten lassen; unser Streben wenigstens ging lediglich dahin, die ver-
schiedenen Standpunkte, von denen aus Laute betrachtet werden
können, recht scharf zu sondern und das Gebiet eines jeden mög-
lichst rein zu halten. Tritt dabei der phonetische Standpunkt schein-
bar etwas in den Vordergrund, so kommt dies wohl nur daher, weil
derselbe bis jetzt allzusehr im Hintergrunde gestanden hat

Dafs wir hinsichtlich des Leserkreises zunächst an die Bedürf-
nisse von Studirenden gedacht, ist bereits gesagt Es weht, wenn
nicht alle Zeichen trügen, unter denselben seit einiger Zeit auf dem
Felde der Sprachwissenschaft ein sehr frischer Geist. Jene Klage,
dafs die weiteren Kreise der jungen Philologen sich noch immer
beharrlich gegen die neuere Sprachwissenschaft abschlössen, verliert
sichtlich mehr und mehr an Berechtigung, und vielleicht ist die Zeit
nicht mehr fern, wo die „Linguistik" neben und unbeschadet der
Philologie die ihr gebührende Stellung erringt. Von grofser prak-



tischer Wichtigkeit wäre es, wenn zunächst auch nur zwischen „alt-
klassischem" und „germanistischem" Gebiet eine gewisse Verbindung
gelänge; wie anders müfste unter solcher Voraussetzung der Sprach-
unterricht auf höheren Schulen sich gestalten I Von dem einen
Ufer hat Georg Curtius bereits in glänzender Weise die ersten
Pfeiler gegründet; wir möchten nach unserer schwachen Kraft von
dem andern denselben entgegenbauen; vielleicht wird, wenn man
nur von beiden Seiten mit Liebe weiterarbeitet, dereinst doch die
volle Brücke sich wölben.

Breslau, im Juni 1860. 

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