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DIE TAGESZEITUNG (TAZ)
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Italien: Als Erstes lebt der Streit wieder auf
Vorsichtig
lockert Italien ab Montag die Corona-Beschränkungen. Und plötzlich
steht der monatelang unumstrittene Premier Conte in der Kritik.
Harmonie war noch nie ein dauerhafter Wert, schon gar nicht in der Politik. In Italien erfährt nun die Regierung um Premier Giuseppe Conte,
dass die große Gunst im Volk sie nicht vor Anwürfen schützt, im
Gegenteil. Lange war Contes harter Kurs für die Eindämmung von Corona so
unumstritten und breit getragen, dass seine politischen Gegner kaum
Spielraum für das Opponieren hatten. Nun aber, beim Übergang in die
"Fase due", die am kommenden Montag mit einer minimalen Lockerung des
Lockdowns beginnen soll, wächst die Kritik. Manche Medien verhöhnten die
vorsichtige Öffnung als "Phase 1,5". Und, ja: Viel ist es nicht.
Die
Italiener werden neu etwas länger und großräumiger spazieren gehen und
die Liebsten treffen dürfen, unter Auflagen. Einige Wirtschaftszweige
gehen wieder in Produktion, fünf Millionen kehren an ihren Arbeitsplatz
zurück. Eisdielen, Bars und Restaurants dürfen ihre Ware über die Straße
verkaufen. Im Juni sollen sie auch ihre Lokale öffnen dürfen, sofern
der Trend zur Besserung hält und die Zahl der Neuinfektionen kein
Überdenken erfordert.
Der Mezzogiorno ist glimpflich davongekommen. Nun will der Süden eigene Regeln
Der
Gouverneurin von Kalabrien geht das nicht schnell genug. Jole Santelli
von der bürgerlichen Forza Italia, erst seit ein paar Monaten im Amt,
erließ dieser Tage eine regionale Verfügung, die mit dem Dekret der
Zentralregierung bricht. In Kalabrien dürfen Bars und Restaurants auch
sitzende Gäste bedienen - draußen auf den Terrassen, mit Abstand. Sie
sei schließlich Kalabrierin, sie wisse besser, was ihre Bürger wollten.
Tatsächlich? Wie man hört, ist die Initiative ein Flop: Viele
Lokalbetreiber öffnen nicht, und jene, die öffnen, haben kaum
Kundschaft. Aus Rom gab es eine Mahnung, doch Santelli mochte nicht
nachgeben. Es geht um Politik.
Die Italiener haben
noch im Kopf, wie Santelli zu Beginn des Notstands im März auftrat: In
eindringlichen Appellen am Fernsehen, immer den Tränen nahe, flehte sie
alle Kalabrier an, die in der Lombardei und im Veneto leben und
arbeiten, doch bitte nicht in die Heimat zurückzukehren. Das regionale
Gesundheitssystem, sagte sie, sei viel zu schwach, es würde unter dem
Druck einer Ansteckungswelle kollabieren.
Der
Kollaps des gesamten Mezzogiorno blieb aus, und das war nicht einem
Wunder geschuldet: Dank der einheitlichen, nationalen Verhängung des
Lockdowns konnte eine mittlere Völkerwanderung mit womöglich
dramatischen Folgen verhindert werden. Nun aber fordern gleich mehrere
Gouverneure im Süden, dass Rom ihre Regionen anders behandelt als die
stark getroffenen im Norden. Sie wollen auch bis auf Weiteres
abgeschottet bleiben vom Rest des Landes. Eine geografische
Unterscheidung bei den Maßnahmen leuchtet vielen ein.
Cinque Stelle hätten sich beinahe mit Vertretern der rechten Lega geprügelt
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Conte
machte sie jetzt von der Entwicklung der Seuche in den kommenden Tagen
abhängig, und er entschuldigte sich dafür, dass die Hilfszahlungen des
Staates an bedürftige Bürger und Unternehmen verspätet seien. "Ich
verstehe den Zorn", sagte er. Man werde bald alle Verspätung wettmachen.
Druck erfuhr der Premier auch im Parlament, es tagte am Donnerstag mal
wieder wie in normalen Zeiten: laut und voller Theatralik. Herrschaften
von den Cinque Stelle hätten sich beinahe mit Vertretern der rechten
Lega geprügelt, buchstäblich, von wegen Abstandswahrung. Schutzmasken
trugen fast alle im Parlament, außer dem Premier, so war das aber vorab
ausgemacht gewesen. Die Bediensteten von Senat und Abgeordnetenkammer
setzten die Minister so, dass Conte am Rednerpult genügend weit von
ihnen entfernt war. Doch auch darüber ärgerten sich manche Vertreter der
Opposition so herzhaft, dass die Sitzung unterbrochen werden musste. Es
war eben wie sonst, und diese Normalität allein erwärmte das Herz
vieler politischer Chronisten.
Conte war zitiert worden. Die Opposition um Matteo Salvini
von der Lega und Giorgia Meloni von den postfaschistischen Fratelli
d'Italia findet, der Premier regiere eigenmächtig, fast ohne Parlament.
Die so genannten "Dekrete des Präsidenten des Ministerrats", im
italienischen Akronym als DPCM bekannt, seien auch nicht
verfassungskonform. Salvini, der sich sonst nur selten im Senat sehen
lässt, hatte mit den Seinen die Nacht vor der Sitzung im Parlament
verbracht - besetzt haben sie es, aus Protest.
Nun,
Giuseppe Conte hat in den vergangenen zwei Monaten elf DPCM erlassen,
sie waren jeweils sofort wirksam. Er nennt sie ein "elastisches und
schnelles Instrument", geeignet für eine "Situation in ständiger
Bewegung" wie dieser. Über die Legitimität der Dekrete wird nun heftig
diskutiert, auch unter Verfassungsrechtlern. Aber es ist wie immer in
Italien bei solchen Debatten: Sie bleibt im Politischen stecken.
Besondere Aufregung löste die Rede von Matteo Renzi im Senat aus. Der
frühere Premier griff Conte frontal an, obschon seine kleine Partei
Italia Viva dessen Regierung mitträgt. Matteo Renzi sagte also, Conte
könne nur noch mit seiner Unterstützung rechnen, wenn er sich bald um
die Sorgen der Italiener kümmere und den "Pfad des Populismus" verlasse.
Die beiden können sich nicht leiden. Doch wie ernst ist es Renzi mit
dem Ultimatum? Stürzt bald die Regierung? "Welches Ultimatum?", fragte
Renzi beim Verlassen des Senats ganz unschuldig. Alle waren froh, wieder
mal im Scheinwerferlicht gestanden zu haben.» (link)
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