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Acoustical liberation of books in the public domain. Testo tratto da Zeno.org meine Bibliothek e registrazione da Librivox.org Serie: Goethe. Aus Meinem Leben. Dichtung und Wahrheit/002. - Nostra numerazione del Brano: § 2. Reader: redaer / download di “Erster Teil Erster Buch Teil 1” (2). Etext: Zeno.org/ETEB/ - Dizionari: Dicios; Sansoni:.
Johann Wolfang von Goethe
AUS MEINEM LEBEN
Dichtung und Wahrheit
Erster Teil
Erstes Buch
Teil 1
Teil 1
[10] Am 28. August 1749, mittags mit dem
Glockenschlage zwölf, kam ich in Frankfurt am Main auf die Welt. Die
Konstellation war glücklich; die Sonne stand im Zeichen der Jungfrau,
und kulminierte für den Tag; Jupiter und Venus blickten sie freundlich
an, Merkur nicht widerwärtig; Saturn und Mars verhielten sich
gleichgültig: nur der Mond, der soeben voll ward, übte die Kraft seines
Gegenscheins um so mehr, als zugleich seine Planetenstunde eingetreten
war. Er widersetzte sich daher meiner Geburt, die nicht eher erfolgen
konnte, als bis diese Stunde vorübergegangen.
Diese
guten Aspekten, welche mir die Astrologen in der Folgezeit sehr hoch
anzurechnen wußten, mögen wohl Ursache an meiner Erhaltung gewesen sein:
denn durch Ungeschicklichkeit der Hebamme kam ich für tot auf die Welt,
und nur durch vielfache Bemühungen brachte man es dahin, daß ich das
Licht erblickte. Dieser Umstand, welcher die Meinigen in große Not
versetzt hatte, gereichte jedoch meinen Mitbürgern zum Vorteil, indem
mein Großvater, der Schultheiß Johann Wolfgang Textor, daher Anlaß nahm,
daß ein Geburtshelfer angestellt, und der Hebammenunterricht eingeführt
oder erneuert wurde; welches denn manchem der Nachgebornen mag zugute
gekommen sein.
Wenn man sich erinnern will, was uns in
der frühsten Zeit der Jugend begegnet ist, so kommt man oft in den Fall
dasjenige, was wir von andern gehört, mit dem zu verwechseln, was wir
wirklich aus eigner anschauender Erfahrung [10] besitzen. Ohne also
hierüber eine genaue Untersuchung anzustellen, welche ohnehin zu nichts
führen kann, bin ich mir bewußt, daß wir in einem alten Hause wohnten,
welches eigentlich aus zwei durchgebrochenen Häusern bestand. Eine
turmartige Treppe führte zu unzusammenhängenden Zimmern, und die
Ungleichheit der Stockwerke war durch Stufen ausgeglichen. Für uns
Kinder, eine jüngere Schwester und mich, war die untere weitläuftige
Hausflur der liebste Raum, welche neben der Türe ein großes hölzernes
Gitterwerk hatte, wodurch man unmittelbar mit der Straße und der freien
Luft in Verbindung kam. Einen solchen Vogelbauer, mit dem viele Häuser
versehen waren, nannte man ein Geräms. Die Frauen saßen darin, um zu
nähen und zu stricken; die Köchin las ihren Salat; die Nachbarinnen
besprachen sich von daher miteinander, und die Straßen gewannen dadurch
in der guten Jahrszeit ein südliches Ansehen. Man fühlte sich frei,
indem man mit dem Öffentlichen vertraut war. So kamen auch durch diese
Gerämse die Kinder mit den Nachbarn in Verbindung, und mich gewannen
drei gegenüber wohnende Brüder von Ochsenstein, hinterlassene Söhne des
verstorbenen Schultheißen, gar lieb, und beschäftigten und neckten sich
mit mir auf mancherlei Weise.
Die Meinigen erzählten
gern allerlei Eulenspiegeleien, zu denen mich jene sonst ernsten und
einsamen Männer angereizt. Ich führe nur einen von diesen Streichen an.
Es war eben Topfmarkt gewesen, und man hatte nicht allein die Küche für
die nächste Zeit mit solchen Waren versorgt, sondern auch uns Kindern
dergleichen Geschirr im kleinen zu spielender Beschäftigung eingekauft.
An einem schönen Nachmittag, da alles ruhig im Hause war, trieb ich im
Geräms mit meinen Schüsseln und Töpfen mein Wesen, und da weiter nichts
dabei herauskommen wollte, warf ich ein Geschirr auf die Straße und
freute mich, daß es so lustig zerbrach. Die von Ochsenstein, welche
sahen, wie ich mich daran ergetzte, daß ich so gar fröhlich in die
Händchen patschte, riefen: »Noch mehr!« Ich säumte nicht, sogleich einen
Topf, und auf immer fortwährendes Rufen: »Noch mehr!« nach und nach
sämtliche Schüsselchen, Tiegelchen, Kännchen gegen das Pflaster zu
schleudern. Meine Nachbarn fuhren [11] fort, ihren Beifall zu bezeigen,
und ich war höchlich froh, ihnen Vergnügen zu machen. Mein Vorrat aber
war aufgezehrt, und sie riefen immer: »Noch mehr!« Ich eilte daher
stracks in die Küche und holte die irdenen Teller, welche nun freilich
im Zerbrechen noch ein lustigeres Schauspiel gaben; und so lief ich hin
und wider, brachte einen Teller nach dem andern, wie ich sie auf dem
Topfbrett der Reihe nach erreichen konnte, und weil sich jene gar nicht
zufrieden gaben, so stürzte ich alles, was ich von Geschirr erschleppen
konnte, in gleiches Verderben. Nur später erschien jemand, zu hindern
und zu wehren. Das Unglück war geschehen, und man hatte für so viel
zerbrochene Töpferware wenigstens eine lustige Geschichte, an der sich
besonders die schalkischen Urheber bis an ihr Lebensende ergetzten.
Meines
Vaters Mutter, bei der wir eigentlich im Hause wohnten, lebte in einem
großen Zimmer hinten hinaus, unmittelbar an der Hausflur, und wir
pflegten unsere Spiele bis an ihren Sessel, ja, wenn sie krank war, bis
an ihr Bett hin auszudehnen. Ich erinnere mich ihrer gleichsam als eines
Geistes, als einer schönen, hagern, immer weiß und reinlich gekleideten
Frau. Sanft, freundlich, wohlwollend ist sie mir im Gedächtnis
geblieben.
Wir hatten die Straße, in welcher unser Haus
lag, den Hirschgraben nennen hören; da wir aber weder Graben noch
Hirsche sahen, so wollten wir diesen Ausdruck erklärt wissen. Man
erzählte sodann, unser Haus stehe auf einem Raum, der sonst außerhalb
der Stadt gelegen, und da, wo jetzt die Straße sich befinde, sei ehmals
ein Graben gewesen, in welchem eine Anzahl Hirsche unterhalten worden.
Man habe diese Tiere hier bewahrt und genährt, weil nach einem alten
Herkommen der Senat alle Jahre einen Hirsch öffentlich verspeiset, den
man denn für einen solchen Festtag hier im Graben immer zur Hand gehabt,
wenn auch auswärts Fürsten und Ritter der Stadt ihre Jagdbefugnis
verkümmerten und störten, oder wohl gar Feinde die Stadt eingeschlossen
oder belagert hielten. Dies gefiel uns sehr, und wir wünschten, eine
solche zahme Wildbahn wäre auch noch bei unsern Zeiten zu sehen gewesen.
Die
Hinterseite des Hauses hatte, besonders aus dem oberen [12] Stock, eine
sehr angenehme Aussicht über eine beinah unabsehbare Fläche von
Nachbarsgärten, die sich bis an die Stadtmauern verbreiteten. Leider
aber war, bei Verwandlung der sonst hier befindlichen Gemeindeplätze in
Hausgärten, unser Haus und noch einige andere, die gegen die Straßenecke
zu lagen, sehr verkürzt worden, indem die Häuser vom Roßmarkt her
weitläufige Hintergebäude und große Gärten sich zueigneten, wir aber uns
durch eine ziemlich hohe Mauer unsres Hofes von diesen so nah gelegenen
Paradiesen ausgeschlossen sahen.
Im zweiten Stock
befand sich ein Zimmer, welches man das Gartenzimmer nannte, weil man
sich daselbst durch wenige Gewächse vor dem Fenster den Mangel eines
Gartens zu ersetzen gesucht hatte. Dort war, wie ich heranwuchs, mein
liebster, zwar nicht trauriger, aber doch sehnsüchtiger Aufenthalt. Über
jene Gärten hinaus, über Stadtmauern und Wälle sah man in eine schöne
fruchtbare Ebene; es ist die, welche sich nach Höchst hinzieht. Dort
lernte ich Sommerszeit gewöhnlich meine Lektionen, wartete die Gewitter
ab, und konnte mich an der untergehenden Sonne, gegen welche die Fenster
gerade gerichtet waren, nicht satt genug sehen. Da ich aber zu gleicher
Zeit die Nachbarn in ihren Gärten wandeln und ihre Blumen besorgen, die
Kinder spielen, die Gesellschaften sich ergetzen sah, die Kegelkugeln
rollen und die Kegel fallen hörte: so erregte dies frühzeitig in mir ein
Gefühl der Einsamkeit und einer daraus entspringenden Sehnsucht, das,
dem von der Natur in mich gelegten Ernsten und Ahndungsvollen
entsprechend, seinen Einfluß gar bald und in der Folge noch deutlicher
zeigte.
Die alte, winkelhafte, an vielen Stellen
düstere Beschaffenheit des Hauses war übrigens geeignet, Schauer und
Furcht in kindlichen Gemütern zu erwecken. Unglücklicherweise hatte man
noch die Erziehungsmaxime, den Kindern frühzeitig alle Furcht vor dem
Ahnungsvollen und Unsichtbaren zu benehmen und sie an das Schauderhafte
zu gewöhnen. Wir Kinder sollten daher allein schlafen, und wenn uns
dieses unmöglich fiel, und wir uns sacht aus den Betten hervormachten
und die Gesellschaft der Bedienten und Mägde suchten, so stellte sich,
in umgewandtem Schlafrock und [13] also für uns verkleidet genug, der
Vater in den Weg und schreckte uns in unsere Ruhestätte zurück. Die
daraus entspringende üble Wirkung denkt sich jedermann. Wie soll
derjenige die Furcht los werden, den man zwischen ein doppeltes
Furchtbare einklemmt? Meine Mutter, stets heiter und froh, und andern
das gleiche gönnend, erfand eine bessere pädagogische Auskunft. Sie
wußte ihren Zweck durch Belohnungen zu erreichen. Es war die Zeit der
Pfirschen, deren reichlichen Genuß sie uns jeden Morgen versprach, wenn
wir nachts die Furcht überwunden hätten. Es gelang, und beide Teile
waren zufrieden.
Innerhalb des Hauses zog meinen Blick
am meisten eine Reihe römischer Prospekte auf sich, mit welchen der
Vater einen Vorsaal ausgeschmückt hatte, gestochen von einigen
geschickten Vorgängern des Piranesi, die sich auf Architektur und
Perspektive wohl verstanden, und deren Nadel sehr deutlich und schätzbar
ist. Hier sah ich täglich die Piazza del Popolo, das Coliseo, den
Petersplatz, die Peterskirche von außen und innen, die Engelsburg und so
manches andere. Diese Gestalten drückten sich tief bei mir ein, und der
sonst sehr lakonische Vater hatte wohl manchmal die Gefälligkeit, eine
Beschreibung des Gegenstandes vernehmen zu lassen. Seine Vorliebe für
die italienische Sprache und für alles, was sich auf jenes Land bezieht,
war sehr ausgesprochen. Eine kleine Marmor- und Naturaliensammlung, die
er von dorther mitgebracht, zeigte er uns auch manchmal vor, und einen
großen Teil seiner Zeit verwendete er auf seine italienisch verfaßte
Reisebeschreibung, deren Abschrift und Redaktion er eigenhändig,
heftweise, langsam und genau ausfertigte. Ein alter heiterer
italienischer Sprachmeister, Giovinazzi genannt, war ihm daran
behülflich. Auch sang der Alte nicht übel, und meine Mutter mußte sich
bequemen, ihn und sich selbst mit dem Klaviere täglich zu
akkompagnieren; da ich denn das »Solitario bosco ombroso« bald kennen
lernte, und auswendig wußte, ehe ich es verstand.
Mein
Vater war überhaupt lehrhafter Natur, und bei seiner Entfernung von
Geschäften wollte er gern dasjenige, was er wußte und vermochte, auf
andre übertragen. So hatte er [14] meine Mutter in den ersten Jahren
ihrer Verheiratung zum fleißigen Schreiben angehalten, wie zum
Klavierspielen und Singen; wobei sie sich genötigt sah, auch in der
italienischen Sprache einige Kenntnis und notdürftige Fertigkeit zu
erwerben.
Gewöhnlich hielten wir uns in allen unsern
Freistunden zur Großmutter, in deren geräumigem Wohnzimmer wir
hinlänglich Platz zu unsern Spielen fanden. Sie wußte uns mit allerlei
Kleinigkeiten zu beschäftigen, und mit allerlei guten Bissen zu
erquicken. An einem Weihnachtsabende jedoch setzte sie allen ihren
Wohltaten die Krone auf, indem sie uns ein Puppenspiel vorstellen ließ,
und so in dem alten Hause eine neue Welt erschuf. Dieses unerwartete
Schauspiel zog die jungen Gemüter mit Gewalt an sich; besonders auf den
Knaben machte es einen sehr starken Eindruck, der in eine große
langdauernde Wirkung nachklang.
Die kleine Bühne mit
ihrem stummen Personal, die man uns anfangs nur vorgezeigt hatte,
nachher aber zu eigner Übung und dramatischer Belebung übergab, mußte
uns Kindern um so viel werter sein, als es das letzte Vermächtnis
unserer guten Großmutter war, die bald darauf durch zunehmende Krankheit
unsern Augen erst entzogen, und dann für immer durch den Tod entrissen
wurde. Ihr Abscheiden war für die Familie von desto größerer Bedeutung,
als es eine völlige Veränderung in dem Zustande derselben nach sich zog.
Solange
die Großmutter lebte, hatte mein Vater sich gehütet, nur das mindeste
im Hause zu verändern oder zu erneuern; aber man wußte wohl, daß er sich
zu einem Hauptbau vorbereitete, der nunmehr auch sogleich vorgenommen
wurde. In Frankfurt, wie in mehrern alten Städten, hatte man bei
Aufführung hölzerner Gebäude, um Platz zu gewinnen, sich erlaubt, nicht
allein mit dem ersten, sondern auch mit den folgenden Stocken
überzubauen; wodurch denn freilich besonders enge Straßen etwas Düsteres
und Ängstliches bekamen. Endlich ging ein Gesetz durch, daß, wer ein
neues Haus von Grund auf baue, nur mit dem ersten Stock über das
Fundament herausrücken dürfe, die übrigen aber senkrecht aufführen
müsse. Mein Vater, um den vorspringenden [15] Raum im zweiten Stock auch
nicht aufzugeben, wenig bekümmert um äußeres architektonisches Ansehen,
und nur um innere gute und bequeme Einrichtung besorgt, bediente sich,
wie schon mehrere vor ihm getan, der Ausflucht, die oberen Teile des
Hauses zu unterstützen und von unten herauf einen nach dem andern
wegzunehmen, und das Neue gleichsam einzuschalten, so daß, wenn zuletzt
gewissermaßen nichts von dem Alten übrig blieb, der ganz neue Bau noch
immer für eine Reparatur gelten konnte. Da nun also das Einreißen und
Aufrichten allmählich geschah, so hatte mein Vater sich vorgenommen,
nicht aus dem Hause zu weichen, um desto besser die Aufsicht zu führen
und die Anleitung geben zu können: denn aufs Technische des Baues
verstand er sich ganz gut; dabei wollte er aber auch seine Familie nicht
von sich lassen. Diese neue Epoche war den Kindern sehr überraschend
und sonderbar. Die Zimmer, in denen man sie oft enge genug gehalten und
mit wenig erfreulichem Lernen und Arbeiten geängstigt, die Gänge, auf
denen sie gespielt, die Wände, für deren Reinlichkeit und Erhaltung man
sonst so sehr gesorgt, alles das vor der Hacke des Maurers, vor dem
Beile des Zimmermanns fallen zu sehen, und zwar von unten herauf, und
indessen oben auf unterstützten Balken gleichsam in der Luft zu
schweben, und dabei immer noch zu einer gewissen Lektion, zu einer
bestimmten Arbeit angehalten zu werden – dieses alles brachte eine
Verwirrung in den jungen Köpfen hervor, die sich so leicht nicht wieder
ins gleiche setzen ließ. Doch wurde die Unbequemlichkeit von der Jugend
weniger empfunden, weil ihr etwas mehr Spielraum als bisher und manche
Gelegenheit, sich auf Balken zu schaukeln und auf Brettern zu schwingen,
gelassen ward.
Hartnäckig setzte der Vater die erste
Zeit seinen Plan durch; doch als zuletzt auch das Dach teilweise
abgetragen wurde, und, ohngeachtet alles übergespannten Wachstuches von
abgenommenen Tapeten, der Regen bis zu unsern Betten gelangte: so
entschloß er sich, obgleich ungern, die Kinder wohlwollenden Freunden,
welche sich schon früher dazu erboten hatten, auf eine Zeitlang zu
überlassen und sie in eine öffentliche Schule zu schicken. [16]
Dieser
Übergang hatte manches Unangenehme: denn indem man die bisher zu Hause
abgesondert, reinlich, edel, obgleich streng gehaltenen Kinder unter
eine rohe Masse von jungen Geschöpfen hinunterstieß, so hatten sie vom
Gemeinen, Schlechten, ja Niederträchtigen ganz unerwartet alles zu
leiden, weil sie aller Waffen und aller Fähigkeit ermangelten, sich
dagegen zu schützen.
Quelle: Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band 9, Hamburg 1948 ff, S. 10-16. Lizenz: Gemeinfrei.
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